EINFUHRUNG
Kognitive Verzerrungen sind systematische Fehler in der Denkweise,
die unsere Urteilsfähigkeit beeinflussen.
Diese Verzerrungen sind tief in unserer kognitiven Architektur verankert und beeinflussen,
wie wir Informationen wahrnehmen, verarbeiten und erinnern.
Hier eine umfassende Übersicht über einige
der bekanntesten kognitiven Verzerrungen, unterteilt in verschiedene Kategorien.
Die Verfügbarkeitsheuristik beschreibt die Tendenz,
die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses anhand der Leichtigkeit zu beurteilen,
mit der Beispiele dafür in den Sinn kommen.
Wenn Ereignisse leicht erinnerbar sind, neigen wir dazu,
sie als häufiger oder wahrscheinlicher zu betrachten.
Dies kann zu einer Überschätzung der Wahrscheinlichkeit von dramatischen
oder stark berichteten Ereignissen führen.
Beispiel 1: Nach einem Flugzeugabsturz, über den intensiv in den Medien berichtet wurde,
schätzen viele Menschen das Risiko von Flugzeugabstürzen als höher ein,
obwohl sie statistisch gesehen sehr selten sind.
Beispiel 2: Wenn eine Person mehrere Freunde hat, die an Krebs erkrankt sind,
könnte sie überschätzen, wie häufig Krebs auftritt,
da diese Fälle in ihrem Gedächtnis sehr präsent sind.
Der Bestätigungsfehler beschreibt die Neigung,
Informationen so auszuwählen und zu interpretieren,
dass sie die eigenen Erwartungen und Überzeugungen bestätigen.
Menschen neigen dazu, Informationen zu ignorieren oder abzuwerten,
die ihren Überzeugungen widersprechen, was zu einer Verstärkung der bestehenden Ansichten führt.
Beispiel 1: Ein Investor, der fest davon überzeugt ist,
dass ein bestimmtes Unternehmen erfolgreich sein wird,
sucht gezielt
nach positiven Nachrichten über dieses Unternehmen und ignoriert negative Berichte.
Beispiel 2: Jemand, der an Verschwörungstheorien glaubt,
interpretiert neutrale oder widersprüchliche Informationen so,
dass sie seine Überzeugungen stützen, anstatt sie infrage zu stellen.
Der Ankereffekt tritt auf, wenn Menschen bei numerischen Schätzungen
zu stark auf den ersten präsentierten Wert (den "Anker") fixiert sind.
Selbst wenn dieser Wert zufällig ist, beeinflusst er dennoch die folgenden Schätzungen erheblich.
Beispiel 1: Ein Verkäufer nennt einen sehr hohen Preis für ein Auto,
um dann einen „Rabatt“ zu geben.
Der Käufer wird dazu verleitet zu denken,
dass er ein gutes Angebot erhält, obwohl der Endpreis immer noch hoch ist.
Beispiel 2: Bei einer Gehaltsverhandlung beginnt der Arbeitgeber
mit einem niedrigen Angebot, das als Anker dient,
sodass der Arbeitnehmer letztlich ein niedrigeres Gehalt akzeptiert, als er ursprünglich wollte.
Der Overconfidence-Bias beschreibt die Tendenz
von Menschen,
ihre eigenen Fähigkeiten oder die Richtigkeit ihrer Urteile zu überschätzen.
Dies kann zu riskanten Entscheidungen und Fehleinschätzungen führen.
Beispiel 1: Ein Amateur-Händler ist überzeugt, dass er den Aktienmarkt schlagen kann,
und investiert aggressiv, ohne die Risiken vollständig zu verstehen,
was oft zu Verlusten führt.
Beispiel 2: Ein Student glaubt, dass er für eine Prüfung nicht viel lernen muss,
da er sich sicher ist, den Stoff zu kennen,
und erhält dann eine schlechtere Note als erwartet.
Verlustaversion beschreibt die Tendenz,
Verluste stärker zu gewichten als Gewinne.
Menschen empfinden den Schmerz eines Verlustes
intensiver als die Freude eines gleich großen Gewinns,
was zu einer Risikoaversion in Entscheidungssituationen führen kann.
Beispiel 1: Ein Anleger hält an einer schlechten Investition fest,
weil er den Verlust nicht realisieren möchte,
obwohl es rationaler wäre,
das Geld in eine bessere Anlage zu investieren.
Beispiel 2: Ein Spieler im Casino ist bereit, mehr Geld zu riskieren,
um verlorenes Geld zurückzugewinnen, als er bereit war, zu Beginn des Spiels zu setzen.
Der fundamentale Attributionsfehler beschreibt die Neigung,
das Verhalten anderer Menschen eher ihren persönlichen Eigenschaften
als situativen Faktoren zuzuschreiben.
Im Gegensatz dazu neigen wir dazu,
unser eigenes Verhalten stärker durch die Situation zu erklären.
Beispiel 1: Wenn jemand zu spät zu einem Treffen kommt, könnte man annehmen,
dass diese Person unzuverlässig ist, anstatt zu berücksichtigen,
dass es äußere Umstände wie Verkehr gab.
Beispiel 2: Ein Manager könnte einen Mitarbeiter,
der ein Projekt nicht rechtzeitig abgeschlossen hat,
als faul einschätzen, ohne zu bedenken,
dass der Mitarbeiter
vielleicht durch äußere Faktoren wie technische Probleme behindert wurde.
Der Halo-Effekt tritt auf, wenn die Wahrnehmung
einer
positiven oder negativen Eigenschaft einer Person
unsere Gesamtwahrnehmung dieser Person verzerrt.
Ein einzelnes positives Merkmal kann dazu führen,
dass wir andere Eigenschaften der Person ebenfalls positiver bewerten.
Beispiel 1: Ein gut aussehender Bewerber wird während eines Vorstellungsgesprächs
als kompetenter und sympathischer wahrgenommen,
obwohl seine Qualifikationen objektiv nicht besser sind als die anderer Bewerber.
Beispiel 2: Wenn ein Lehrer einen Schüler aufgrund guter Leistungen
in einem Fach besonders mag,
könnte er dazu neigen,
auch seine Leistungen in anderen Fächern positiver zu bewerten.
Der Rückschaufehler beschreibt die Tendenz,
nach dem Eintreten eines Ereignisses zu glauben,
dass man es vorhergesehen hat.
Diese Verzerrung führt dazu, dass wir vergangene Ereignisse
als vorhersehbarer wahrnehmen, als sie tatsächlich waren.
Beispiel 1: Nach einer Wahlniederlage eines Kandidaten glauben viele Wähler,
dass sie den Ausgang der Wahl vorhergesehen haben,
obwohl sie vor der Wahl unsicher waren.
Beispiel 2: Nach einem Unfall denken viele Menschen,
dass die Anzeichen für den Unfall offensichtlich waren
und dass sie es hätten kommen sehen sollen.
False Memory beschreibt die Tendenz,
sich an Ereignisse zu erinnern,
die nie stattgefunden haben oder die verfälscht sind.
Diese Verzerrung kann durch Suggestion,
Fehlinformationen
oder die Rekonstruktion von Gedächtnisinhalten entstehen.
Beispiel 1:Nach dem Lesen eines Berichts über einen Banküberfall erinnern sich
Zeugen an Details, die nie erwähnt wurden,
weil ihr Gedächtnis durch Suggestionen verfälscht wurde.
Beispiel 2: Eine Person erinnert sich daran,
ein Ereignis
in ihrer Kindheit erlebt zu haben, das in Wirklichkeit nie stattgefunden hat,
weil sie diese Erinnerung durch Erzählungen und Fotos falsch rekonstruiert hat.
Kognitive Dissonanz tritt auf,
wenn wir widersprüchliche Überzeugungen
oder Verhaltensweisen erleben.
Um diesen inneren Konflikt zu reduzieren, neigen wir dazu,
unsere Überzeugungen zu ändern oder
unser Verhalten zu rechtfertigen, um Konsistenz zu erreichen.
Beispiel 1: Ein Raucher, der weiß, dass Rauchen gesundheitsschädlich ist,
rechtfertigt sein Verhalten, indem er Studien herunterspielt oder sagt,
dass das Rauchen ihn entspannt.
Beispiel 2: Jemand, der ein teures Produkt gekauft hat und feststellt,
dass es nicht den Erwartungen entspricht, redet sich ein,
dass der Kauf dennoch sinnvoll war,
um das unangenehme Gefühl der Fehlinvestition zu vermeiden.
Effort Justification beschreibt die Tendenz,
Anstrengungen und Kosten, die wir in eine bestimmte Aufgabe investiert haben,
nachträglich zu rechtfertigen,
indem wir
den Wert oder die Wichtigkeit des Ergebnisses überbewerten.
Beispiel 1: Ein Student, der viele Stunden in die Vorbereitung
für einen schwierigen Kurs investiert hat, neigt dazu,
den Kurs als wertvoller und interessanter zu bewerten,
unabhängig vom tatsächlichen Nutzen des Kurses.
Beispiel 2: Nach einem anstrengenden Bergaufstieg
bewerten Wanderer
die Aussicht vom Gipfel als beeindruckender,
weil sie die Anstrengung rechtfertigen wollen,
die sie unternommen haben, um dorthin zu gelangen.
Kognitive Verzerrungen spielen eine entscheidende Rolle
in vielen Aspekten des täglichen Lebens,
einschließlich der Entscheidungsfindung,
der sozialen Interaktionen
und der Selbstwahrnehmung.
Sie beeinflussen unsere Urteile oft unbewusst und können
sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben.
Kognitive Verzerrungen ermöglichen oft schnelle
und effiziente Entscheidungen in komplexen und unsicheren Situationen.
In vielen Fällen können Verzerrungen adaptive Vorteile bieten,
indem sie unser Verhalten an häufig auftretende Umstände anpassen.
Verzerrungen können zu
systematischen Fehlern
und suboptimalen Entscheidungen führen.
Sie können Vorurteile und Diskriminierung verstärken,
indem sie unser Urteil über andere Personen verzerren.
Das Bewusstsein für kognitive Verzerrungen
ist der erste Schritt zu ihrer Minderung.
Einige Strategien, um ihre Auswirkungen zu reduzieren, umfassen:
Aktives Nachdenken und
das Infragestellen der eigenen Überzeugungen und Entscheidungen.
Nutzung vielfältiger und widersprüchlicher Informationsquellen, um den Bestätigungsfehler zu minimieren.
Verwendung strukturierter Methoden
zur Entscheidungsfindung,
wie Checklisten und Algorithmen,
um den Einfluss von Verzerrungen zu reduzieren.
Kognitive Verzerrungen sind ein grundlegender Teil
unserer mentalen Prozesse und beeinflussen,
wie wir die Welt um uns herum verstehen und darauf reagieren.
Während sie in vielen Fällen nützlich sein können,
führen sie auch oft zu Fehlurteilen und suboptimalen Entscheidungen.
Durch das Bewusstsein und die Anwendung von Strategien
zur Minderung ihrer Auswirkungen können wir jedoch lernen,
besser und rationaler zu denken.